Marlen Melzow
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Ralf Schleiff

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Gezeichnete", Tuschzeichnungen von Marlen Melzow am 25.10.2013 im Kunsthaus sans titre Potsdam

Ist nicht jeder ein Künstler der Kunst macht? Marlen Melzow sät Zweifel. Auf die Frage, ob sie sich als Künstlerin fühlt, wehrt sie mit einer Gegenfrage ab: Was denn überhaupt ein Künstler sei. Um sie gleich von vornherein für sich zu beantworten: Nein, eine Künstlerin sei sie nicht wirklich. Die aus dem Englischen übernommene Wendung "nicht wirklich" versteht sich eigentlich als zwar unbestimmt ausgesprochenes, aber bestimmt gemeintes "Nein". Doch dünkt es mich, bei Marlen Melzow bekommt das bestimmt Gemeinte eine ironisch verschleierte Bestimmtheit, die sich gegen verstiegenes Künstlertum und weltfremdes Ästhetisieren wappnet.

Das mag nicht von ungefähr mit ihrem Werdegang in der Kunstszene zusammenhängen. Der studierten Bauingenieurin genügte es nicht, in einem Betrieb in der Erzeugnisentwicklung darüber nachzugrübeln, wie Holzabfälle volkswirtschaftlich nutzbringend weiterzuverarbeiten seinen. Sie schmiss hin und tauchte in die Freie Theaterszene ein. Sie ging zum Puppentheater. Im Theater o.N. sowie im Chemnitzer Kinder-und Jugendtheater arbeitete sie als Bühnenbildnerin, Kostümbildnerin und baute Puppen. Ja, und irgendwann stand sie auch mit auf der Bühne. Aber, um es gleich vorwegzunehmen, sie würde sich selbst nie als Puppenspielerin bezeichnen. Gut, wenn es sich so ergab und sie darum gebeten wurde, dann spielte sie eben auch mit, was war schon dabei.

In Chemnitz stellte Marlen Melzow mit Künstlern und Fachleuten aus der Textilbranche die Performance "Spinnig Jenny Viewing Session" in Erinnerung an die goldenen Zeiten des Textilstandortes auf die Beine.
Und in dieser Stadt stand sie auch in einem Zweifrauenabend auf der Bühne. Nicht wenige Texte dafür stammten von ihr. Natürlich können wir uns die Frage, ob sie sich als Texterin versteht, selbst beantworten.

Und so wie sie sich nicht als Texterin versteht, nicht als Schauspielerin, so sieht sie sich nicht als Malerin oder Zeichnerin. Sie sieht sich nicht der Kunst, sondern einem jeweiligen Thema verpflichtet. Das Thema diktiert — doch ich glaube, Marlen Melzow lässt sich nichts diktieren — fleht nach einem bestimmten Ausdruck. Und Marlen Melzow gibt diesem Flehen nach. Und beim gemeinsamen Betrachten ihrer Tuschzeichnungen wurde mir bewusst, diesem Flehen des weißen Papiers nach Farbauftrag gibt Marlen Melzow nur gar zu gern nach, ganz im Sinne des französischen Malers und Grafikers Robert Delaunay: "Ich lebe; die Kunst ist ein Mittel, sich zu erfreuen oder zu leben, und das ist alles."

Die Tuschzeichnungen erscheinen einem auf dem Papier wie aus einem tiefen Nichts heraustretend. Sie schweben, treiben, surfen behaglich in einem Meer aus geduldigem Weiß. Nichts weist darauf hin, dass diese Motive geerdet sind. Sie suchen keinen Halt und sind doch nicht haltlos. Ihre Festigkeit finden die Motive in ihrer heiteren und unangestrengten inneren Geschlossenheit. In ihrer stoischen Beharrlichkeit feiern sie ihre Verwandtschaft mit chinesischen Tuschzeichnungen, die mit konzentrierter Strenge und sich gehenlassender Leichtigkeit ausgeführt werden müssen. Oder wie es in einem chinesischen Text heißt: "Tuschemalerei ist gleich einen Drachen zu reiten. Der Pinsel ist der Drache, das dünne Papier der weite Raum, den der Drache beherrscht, die Tusche ist das qi, die Lebenskraft…"

Ein paar Spritzer, zufällige Striche auf das Papier gesetzt und es fängt an, das Fabulieren.
Das Blatt wird zum Spielfeld von unbeschwerter Improvisation. Und es entstehen Ausbunde von Phantasien, die einen berühren, erstaunen, verstören, aber auch abstoßen.
Marlen Melzows Werke erinnern oft genug an fragile Luftgespinste und groteske Geistererscheinungen. Sie sind spielerische Fatamorganen, in die sich der Betrachter hineinspiegeln kann. Dann wird er merken, trotz allem bleiben die Motive letztendlich immer ganz irdisch. Er findet Hocherotisches, Beschauliches, Komisches, Brutales und Animalisches. Eigentlich genügt Marlen Melzow die Konzentration auf die schwarze Tusche. Experimentiert sie gelegentlich mit Farbe, dann kann es passieren, dass die Bilder eine Wucht bekommen, die die Motive explodieren lässt, als ob sie die Rahmen sprengen wollten.

Wer länger vor einem Bild verweilt, entdeckt: Dieses mit der Zeit blähend auftrumpfende Papierweiß mahnt eine Ahnung des Verschwindens der Motive an. Wie bemerkte doch Verlaine: "Gott hat die Welt aus dem Nichts erschaffen. Das Nichts schmeckt immer durch."